Nach einer berauschenden Premiere mit einem wunderbaren Publikum voller Freunde und Menschen, die unsere Arbeit noch nicht kennen, saßen wir gestern zusammen, um uns auszutauschen, wie das nun ist, so nah am Ende unserer Reise. Für die Frauen von Paradata war das immerhin auch die erste öffentliche Vorstellung vor einem Theaterpublikum.
So langsam gewöhne ich mich an diese, wie soll ich es nennen: persische Nicht-Euphorie, aber ich merke doch, dass ich noch immer aufbrause und provoziere, wenn ich kein aufrichtiges Feedback bekomme. Natürlich gehe ich da wieder auch nur von meinen eigenen Kulturtechniken aus ...
Dann ging es viel um den dritten Teil unserer Vorstellung, der ja reine Improvisation mit zeitlichen und rhythmischen Vorgaben von Daniel ist - ein riskantes Wagnis. Die meisten Kommentare gingen dahin, dass die Improvisationszeit kürzer sein sollte. Nachdem die Diskussion darüber, ob wir das einkürzen und somit schneller hinter uns bringen, im Kreise verlief, meinte Sabine, dass es doch vollkommen egal ist, wie lang die Improvisationen sind, wenn wir uns klarmachen, WARUM wir die dort eigentlich überhaupt machen - was wir dort herausbekommen wollen. - Keine Ahnung, warum dann danach die Diskussion wieder eine Weile im Kreis verlief, bis wir endlich Sabines Frage beim Kern packten. Als wir uns dann nochmal gemeinsam darauf einschworen, dass wir hier die Chance haben, in den zwei verbleibenden Vorstellungen, wirklich noch etwas Wesentliches miteinander spielerisch herauszufinden und uns überraschend begegnen können, strahlten alle Gesichter und man hatte das Gefühl, in eine erlebnisreiche Vorstellung hineinzugehen.
Überraschend war, wie sensibel und geschmeidig die ersten beiden Teile waren. Vor dem Hintergrund, dass sich einige Leute über die laute Musik beschwert haben, dass Harry so einen Satz sagte: "Die Musik killt euch!" - waren die Momente der Stille erstaunlich und die beiden Musiker haben tatsächlich mit uns zusammen gespielt, von zart, bis gewaltig und schmerzhaft.
In der Improvisation brach sich dann etwas Bahn, das wir bisher so nicht erlebt hatten. Anlass war sicher Davouds Entscheidung, nackt, gemehlt und mit dem roten Schriftzug Love auf der Brust als ein verzweifelter Amor auf die Bühne zu kommen, animalisch, voller Unruhe und im ganzen Körper zitternd. - Shahab und Reza waren schockiert. Auch ich war überrascht und ein wenig hilflos, weil ich nicht wusste, wie weit Davoud gehen würde und ob sich unter Kontrolle hat. Aus der Polarisierung im Ensemble ergaben sich die spannendsten Momente, die wir je zusammen auf der Bühne erlebt haben, Lachen und Weinen, Verzweiflung und Trost. Max und Amir haben das von außen genauso beschrieben, vor allem aber, dass nun im ganzen Ensemble etwas begann, das Relevanz und Kraft hatte. Die ganze Bühne verwandelte sich - da war plötzlich ein See, auf dem Blütenblätter schwammen. Die Ankunft von Attar's Vögeln beim Simurgh, erschöpft, mutlos und flügellahm, wie ich sie in der letzten Replik vorlese, war nun tatsächlich erlebbar.
Diese Vorstellung werde ich so schnell nicht vergessen, wir haben uns einander verschenkt, uns verstört, gerettet und vor große Aufgaben gestellt. Erinnerungen an die legendäre Inszenierung von Zinnober "traumhaft" kamen auf - Theater machen in der DDR und im Iran, da gibt es wirklich etliche Parallelen.
Und heute zum letzten Mal, zum vorerst letzten Mal im Societaetstheater:
WEST-ÖSTLICHER DIWAN # reloaded. / Cie. Freaks und Fremde / Theater Paradata Teheran.