So nah, so fern

Eigentlich ist so viel ungesagt geblieben - nun sind die iranischen Freunde wieder fort - es bleibt uns das Briefe schreiben:
"12.09.2013 - Lieber Shahab, - wahrscheinlich müssen wir uns nun einige Briefe schreiben, um uns klar zu werden, was wir in unserer gemeinsamen Zeit im Sommer eigentlich erlebt, gelernt und erfahren haben. Vielleicht helfen uns aber Worte auch gar nicht weiter?
Es ist schon merkwürdig: nun seid ihr wieder verschwunden. – Erst war es unvorstellbar, dass ihr überhaupt hier seid: eine ganze iranische Theatergruppe aus Teheran für einen Sommer bei uns in Dresden. – Dann war es geradezu normal, wir haben uns jeden Tag gesehen, Routine - unser tägliches Arbeiten, unser Versuch, mit einander Theater zu machen.
Manchmal haben wir geradezu vergessen, was für ein Geschenk eigentlich unsere gemeinsame Zeit war. – Wie wertvoll dieser kleine gemeinsame Raum im Theater war, haben wir wohl erst so richtig begriffen, als wir am Samstag nach der letzten Vorstellung alles ausräumen mussten und ausgezogen sind von diesem Ort, der ein Ort vieler schöner Momente war, zermürbender Gespräche, auch ein Raum bedrückter Stimmung war ja diese Bühne manchmal. Aber es war eben auch ein Ort des Jubels und der guten Erfahrungen. … Vielleicht sind die beiden Kellerräume, in denen wir in Teheran und in Dresden zusammengearbeitet haben, ja unterirdisch irgendwie miteinander verbunden. Eine schöne Vorstellung – ja, das wäre wirklich schön: dann könnten wir uns beide heimlich nachts dort oder hier heimlich verabreden, miteinander sprechen oder proben …
Kaum seid ihr alle wieder abgereist, ist unsere lange gemeinsame Zeit unscharf wie hinter einer Nebelwand – irgendwie unwirklich, ein unklarer Traum … ja, wart ihr denn tatsächlich hier? – Ich hatte noch so viele Fragen und wollte noch so viel reden, spielen, streiten …
Sind wir Freunde und/oder Fremde, oder einfach nur die Freaks aus einer anderen Welt? Was wollen wir, was wissen wir voneinander? Führt uns diese Arbeit zusammen oder treibt sie uns auseinander? – Noch immer weiß ich nicht, was ihr eigentlich mit dem Theater wollt, wie „euer“ Theater aussieht?
Habe ich mich verändert, bin ich ein anderer geworden? Was habe ich Neues über mich herausgefunden, und was über euch?
Bin ich euch denn tatsächlich begegnet? Kennen wir uns nun besser? Habe ich mich genug auf euch eingelassen? War ich zu ungeduldig? Eigentlich sind am Ende unserer Arbeit so viele viele Fragen … Wo sind all die Möglichkeiten, die am Beginn unserer Reise am Horizont schienen? Es ist, als hätten wir noch nicht einmal das Tal der Suche durchschritten …
Ich denke, dass Davoud uns mit seinem Auftritt in der Improvisation der zweiten Vorstellung ein großes Geschenk gemacht hat … Egal, ob uns das nun allen gefallen hat oder nicht, es kam zu einer Dimension von Aktion und Reaktion, von Auseinandersetzung, die es davor nicht gab … Es kam zu einer Kette von Ereignissen – die Bühne veränderte sich, nahm neue Gestalt an und wurde zu einem wirklich wichtigen Ort. – Reza sah sich selbst als wichtige moralische Instanz, aber eigentlich hat er sich ganz unprofessionell verhalten. So reagiert man als professioneller Darsteller nicht, einfach wegrennen … anstatt mit dem Spielangebot zu arbeiten, auch wenn es noch so ungewöhnlich ist. … Gerade als König hätte er doch alle Chancen gehabt … Aber auch mit Reza würde ich gerne reden, was er eigentlich denkt, wie es ihm geht.

Lieber Shahab, wie gesagt: vielleicht wird das ein sehr langer Brief, der einige Tage braucht, vielleicht schreiben wir uns auch bis zum Februar immer wieder hin und her."

"13.09.2013 - [Die Tränen sind zu fließen] - Lieber Heiki, wenn ich nun schreibe „Lieber Heiki“ , das ist total anders als vorher, irgendeine Erkenntnis ist drinn und das freut mich.
Ich versuche diesmal bisschen tapfer zu sein und würde ich einfach dir was schreiben, ohne auf grammatikalische Dinge zu achten.
Gestern habe ich mit Amir schon lange über unsere Reise und unser Projekt in einem Cafe gesprochen. Du hast recht, es braucht viele Briefe geschrieben zu werden, damit die Wörter uns erzählen können, was die Zeit im Sommer war. „War“, Siehst du, wir müssen jetzt alles in der Vergangenheit schreiben, das macht mich traurig. Ich mag aber manchmal Traurigkeit. Melancholie: deshalb leg einfach bitte die CD Closing Time...
[Tom Waits singt... 1.2.3 ,4]

So nah, So weit
Das ist genau unsere Situation jetzt, oder? Die Aufgabe zeigt sich uns gerade ganz transparent. Vielleict Hessam und ich haben das ganz kitschig gespielt.
Dresden ist für mich nun wie ein Traum, überhaupt die Reise und das Projekt auch. Eine kurze Zeit, in der viele Sache parallel, intensiv, durcheinander, schön und traumhaft auf einmal passierten. Vielleicht war die Reise für die Vögeln auch ein Traum. Sie brauchten einen Traum, um sich wiedererkennen zu können.
Ich glaube unser Theater war wirklich. Ich hab in Dresden gelernt, das Theater muss wirklich sein. Das ist für mich ein großes Geschenk. Ein Geschenk von Dir und Sabine. Ich war noch nie von einem Projekt so beeindruckt. Ich wurde geändert und das ist Theater für mich.
Ich glaube durch Wörter kann ich mich nicht äußern.
Gestern habe ich erfahren: unser SAMSON ist tot. Das war wie ein Schock. Sein Gesicht im Bild kann ich nie vergessen neben ein Leiter. Er wusste überhaupt nicht, dass sein Bild im Schaubudensommer in Dresden aufgehängt wurde. Hätte ich das ihm erzählen.
Mein Brief hat keinen Roten Faden.                                                                                  
Mein Brief hat keinen Roten Faden.
Wie kann ich weiter?...aha...
PARADATA: ich weiß nicht wie kann ich mit Reza Theater weitermachen. Er ist wirklich ein toller Freund von mir. Aber...
Vielleicht ist zu früh, eine Entscheidung zu treffen, ich weiß nicht überhaupt.
Warum machen wir Theater. Ich mag immer die Frage. Warum? Man braucht vielleicht immer neue Herausforderungen, um sich immer lebendig fühlen zu können. Theater machen bringt das vielleicht, oder?
Ich bin total froh und gleichzeitig total traurig. Ich mag immer dieses Gefühl.
Ich muss Sabine auch schreiben. Ich muss ihr schreiben, wie wichtig ist sie für mich. Warum habe ich ihr das nicht ins Gesicht gesagt? Ich hab wirklich wirklich von ihr gelernt. Sie weiß, warum sie Theater macht. Oder?
Das war für heute. Meine CD ist zu Ende.
Pass auf dich auf!
Shahab
[Closing Time]"