Iran, 22.05. – 02.06.2013 / Max Reiniger


IT’S A BEGINNING

Meine erste Reaktion, als Heiki und Sabine mich fragen ob ich mit in den Iran kommen will, ist: geil! Klaro! Oder so in der Richtung.- Von Heiki habe ich schon Geschichten gehört, von seinen Iran-Reisen und wahrscheinlich kann ich in diesem Moment die ganzen Ausmaße gar nicht so richtig erfassen.
Alle, denen ich davon erzähle reagieren da irgendwie emotionaler oder so. Das geht dann von:“Pass auf, dass du da nicht entführt wirst“ und „Da ist doch Krieg“ bis zu unvermeidlichen Kopftuchdebatten. - Und das wirkt natürlich. Erst jetzt mach ich mir einen Kopf. Ganz schön. Und dann beginne ich mal zu recherchieren. Das macht dann nicht viel besser.
Laut dem Auswärtigen Amt wird man im Iran für das meiste hingerichtet. Oder zumindest für immer in ein Gefängnis gesperrt. Weil das eben eine Diktatur ist. Oder so.
Da fühl ich mich etwas wie ein Abenteurer. Kriegsberichterstatter. Oder gleich Hemmingway.
Je mehr ich mich einlese, desto klarer wird natürlich, dass das alles so auch nicht stimmt. Die Leute in der Iranischen Botschaft sind eigentlich ganz nett und das mit dem Visum geht erstaunlich schnell. Und es gibt Youtubevideos aus dem Iran und da sieht es eigentlich ganz schön aus. Und das beruhigt dann doch. - Vor dem Flug glaube ich, mir dann schon ein Bild gemacht zu haben und bin doch wahrscheinlich ziemlich aufgeregt.



Natürlich ist es dann verrückt in Teheran zu landen. Die Bilder an der Wand von den Ayathollas erinnern an die Bilder aus der DDR, die ich ja auch nur aus den Geschichtsbüchern kenne und die Frau, die Sabine an der Gepäckausgabe noch mal erklärt, dass sie keine Angst zu haben braucht, ist ja auch irgendwie komisch und die Taxifahrt zum Archäologischen Institut und der Stacheldraht da auf der Mauer und die vielen Lichter und Flaggen an der Autobahn auch. Aber da liegt ja auch der Flug hinter uns und es ist vier Uhr nachts und da kann man dann doch nur schlafen. 
Das erste Mal durch Teheran zu laufen und Theater Paradata zu treffen, ist dann auch vorurteilsgeprägt. Schön ist es und aufregend, aber trotzdem irgendwie alles von einer bestimmten Warte aus betrachtet. Das mit den Vorurteilen und allem ist dann auch wirklich mein roter Faden, der sich durch die Reise zieht. Weil die musste, oder viel mehr durfte oder so, ich alle aufgeben, nach und nach, bis ich gemerkt habe, dass sie eigentlich alle völliger Blödsinn waren.
Bei dem Workshop, der die ersten 6 Tage geht, merkt man, dass ja irgendwie doch alle gleich sind. Also Bock haben auf das gleiche, Theater jetzt und das spürt man auch. Das ist jetzt vielleicht naiv oder so, aber man fühlt, glaube ich, ziemlich schnell, dass da alle Beteiligten gut zusammenrücken und echt eine harmonische Einheit bilden.
Und Mr. Samson, der Hausmeister, liest auch nicht ständig im Koran, sondern fragt ab und zu nach einer Zigarette oder macht einen Scherz. Den versteht man dann zwar nicht, aber lachen kann man trotzdem, macht Mr. Samson ja auch.
Nach den ersten Tagen fühlt man sich dann eigentlich wie zu Hause. Abgesehen vom Verkehr vielleicht. Und von den Kopftüchern. Aber sonst scheinen die Menschen hier hauptsächlich nett zu sein und wenig unterdrückt.
Und schon wieder zu früh ein Bild gemacht. Denn als Shahab zu mir sagt, Das solltest du lieber nicht filmen! Da wird mir irgendwie schon etwas anders.
Und als ich die Performance der drei iranischen Frauen sehe, muss ich schon auch erst einmal schlucken. Einfach weil ich das so auch nicht kenne. Dass sich junge Menschen so einen Kopf um so große Dinge machen. Und dabei dann auch was rauskommt, was so eine Power hat!
Und das geht ja noch weiter. Auf dem Dach von Teheran. Über der Stadt. Da erzählen Amir und Masoumeh mal die eine oder andere Anekdote aus dem Irakkrieg und von der grünen Revolution. Wenn man so von Bombenalarm und Tränengas und angeschossenen Nachbarn hört, dann fragt man sich schon, Wie verpacken die das denn alles?
Als Harry dann fragt, wie es jetzt weitergehen soll mit dem Iran nach der grünen Revolution und Amir sagt, We’re waiting fort he next! Da ist das schon ein bisschen Hollywood und ich kann zum ersten Mal in meinem Leben so einen Satz auch irgendwie ernstnehmen.
Was ich mit diesen Eindrücken jetzt machen soll weiß ich nicht. Nicht mal, was die Eindrücke mit mir so machen. Ist man da traurig weil in diesem Land so ein Scheiß passiert? Freut man sich, dass die Iraner, die wir treffen trotzdem ihren Weg suchen? Ist das jetzt schizophren oder einfach stark, dass der Alltag in diesem Land so normal und irgendwie entspannt ist, obwohl da so ein Mist passiert? Darf ich neidisch auf die Energie sein, die die Leute vom Theater Paradata aus solchen Umständen ziehen? Oder muss man da Mitleid haben? Oder das einfach hinnehmen?
Natürlich stimmt das westliche Bild vom bösen Iran mit der Atombombe nicht, das habe ich mir vorher schon gedacht. Dass hier alles okay ist, stimmt aber auch nicht, das habe ich auch gemerkt. Die Menschen werden unterdrückt, suchen sich aber ihre Nischen, sie sind unzufrieden, lehnen sich aber auch nicht auf. Damit kann ich nicht richtig umgehen.
Auch zurück in Berlin fällt es mir schwer, für andere ein Bild vom Iran zu zeichnen.
Mehr als hinnehmen kann ich das also nicht. Vielleicht auch etwas bewundern. Und faszinierend finden: Die drei alten Männer, die auf dem Basar in ihrem Geschäft sitzen, mit einem Schild an der Tür –WE DO NOTHING -, die Sekundenkleberverkäufer in der UBahn, den alten Mr. Samson, die weißen, kahlen, stachelbewehrten Mauern, die irgendwie alle Geschichten zu erzählen scheinen, die Anti-Amerika-Graffittis, die alten Peugots, den Tee, die Gewürze, den Nippes in den Jahrhunderte alten Mauern des Basars, die Wüste, den alten Kalligraphen, den Schreiber mit dem fehlenden Zeigefinger. - Den Clash von Samsung und Mohammed, der ruhigen, fast meditativen Stimmung der Hinterhöfe, des Hotels in Kashan und den Überfüllten Straßen Teherans, dem allgegenwärtigen Militär, den martialischen Sprüche an den Wänden.
Dem Widerspruch zwischen der ruhigen, offenen und entspannten Art der Menschen, die uns begegneten und dem politischen Druck, der durch die Embargo-geprägten Preise und die Kopftücher und und und doch irgendwie spürbar ist. 
It’s a beginning. Das war Harrys Spruch. Und es war wirklich auch ein Beginn. Wie jeder Tag irgendwie ein neuer Beginn war. Weil alles neu war. Immer. Und es wird hoffentlich auch in Deutschland immer vieles neu geben. Irgendetwas wird aus alle dem herauskommen. Ganz einfach, weil diese Reise fast schon für sich Theater war. In einer geilen Kulisse mit einem hammer Plot und großartigen Hauptdarstellern. Und wie und was genau da herauskommt, dass weiß man halt nicht. Es ist ja auch ein Anfang.
Wenn noch mal jemand in der Wüste singt, meldet sich vielleicht ja sogar Hollywood.